"Ich bin unterwegs in Zürich. Ich kenne mich nicht wirklich aus, weil ich noch nie länger Zeit in dieser Stadt verbracht habe. Ich bin auf der Suche nach etwas zu Essen – aber mir fehlen Anhaltspunkte. Ich biege ab, auf eine belebte Straße, in der es nur so wimmelt von Menschen und Verkaufsständen. Ich sehe zwei Imbissbuden, direkt gegenüber voneinander. Vor einer reiht sich eine lange Schlange von Leuten auf, während man vor der anderen keinen einzigen Kunden sehen kann. Ich werfe einen nervösen Blick auf mein Handy, um die Uhr zu checken. Noch fünfzehn Minuten, bis mein Zug fährt. Ich schaue wieder auf zu der Menschenschlange, denke, „ja, das könnte gerade so reichen“ und reihe mich ganz hinten in der Schlange ein. Ich bin ein wenig nervös, meinen Zug zu verpassen, aber gleichzeitig überzeugt davon, die kulinarisch bessere Wahl getroffen zu haben. Fünfzehn Minuten später stehe ich – nun stolzer Besitzer eines vollkommen überteuerten Döners – am Bahngleis und schaue meinem Zug nach, wie er langsam am Horizont verschwindet. Leichte Zweifel machen sich breit, ob meine Wahl wirklich so klug war, wie ich dachte."
Ich habe diese Geschichte mit euch geteilt, weil sie sehr schön veranschaulicht, wie stark wir uns vom Urteil der großen Menge leiten und beeinflussen lassen. Im heutigen Artikel geht es um social influence – darum, wie wir von unserem sozialen Umfeld beeinflusst werden und wie auch wir es beeinflussen können. Dabei orientieren wir uns speziell an den „sechs Prinzipien des sozialen Einflusses“ von Robert Cialdini. Einer der von ihm herausgearbeiteten Faktoren nennt sich sozialer Beweist (social proof), und beschreibt eben genau das Phänomen, das in der Geschichte weiter oben veranschaulicht wurde. Wir gehen dort hin, wo die Masse hingeht, auch wenn uns diese Entscheidung vielleicht mehr kostet oder anderweitige Nachteile einbringt.
Wenn wir verstehen, welche die Faktoren sind, die uns unterbewusst lenken und beeinflussen, dann können wir dieses Wissen nutzen, um uns besser vor ungewollter Beeinflussung zu schützen. Und gleichzeitig können wir daraus auch Lektionen für unsere eigene Wirksamkeit ziehen. Gesellschaftlich einflussreich, oder wirksam zu sein bedeutet nicht, dass wir diese Prinzipien nutzen um andere Menschen taktisch zu manipulieren. Viel mehr geht es darum, die Fähigkeit zu erwerben, so mit anderen Menschen umzugehen und zu kommunizieren, dass wir eben genau den Effekt auf sie haben, den wir beabsichtigen, und nicht irgendeinen zufälligen oder gar ungewollten. Genauso wie Sprache und Ausdrucksfähigkeit Fertigkeiten sind, die wir lernen und meistern können, so gilt dies auch für sozialen Einfluss. Und im Fall von Sprache würde wir auch nicht sagen, dass es verwerflich ist, Ausdrucksfähigkeit und rhetorisches Geschick zu verbessern, um sicherzustellen, dass die Mitmenschen einen auch so verstehen, wie man es beabsichtigt. Gleiches sollte also auch für sozialen Einfluss und Überzeugungskraft gelten.
Die sechs Prinzipien des sozialen Einflusses
1. Gegenseitigkeit (reciprocity)
Die meisten Menschen verstehen intuitiv und ohne großes Nachdenken, dass einen Gefallen anzunehmen, unmittelbar eine gewisse Notwendigkeit zum Ausgleich erzeugt. Ein Gefallen ist wie eine Transaktion, bei der die Gegenleistung noch aussteht. Menschen organisieren sich nach diesem Prinzip auch ohne das Vorhandensein von Gesetzen und Vollstreckung. Eben diese Tatsache, zeigt uns dass es sich dabei um ein universelles sozialpsychologisches Phänomen handelt. Wenn du mir etwas gibst oder mir bei einer Sache hilfst, dann weiß ich, dass ich in deiner Schuld stehe und dieses Wissen macht es wiederum wahrscheinlicher, dass ich in der Zukunft versuchen werde diese Schuld zu begleichen, indem ich dir einen Gefallen tue. Wichtig ist, dass diese Prinzip auch auf einer viel kleinere und unscheinbareren Ebene wirkungsvoll sein kann. Wenn mir der Verkäufer eines kleinen Parfumgeschäfts beispielsweise eine Reihe von Duftproben anbietet und ein langes Beratungsgespräch mit mir führt (also Energie und Zeit in mich investiert), ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass ich schlussendlich etwas bei ihm kaufe - nicht zuletzt deswegen, weil ich mich schuldig fühle, dieses Investment wieder zurückzuzahlen.
Wenn die Person oder Gruppen von Menschen, auf die du Einfluss nehmen möchtest, Fairness und Gegenseitigkeit besonders hoch schätzt, solltest du erst etwas geben, bevor du eine Gegenleistung verlangst. Beginne mit etwas Kleinem, das leicht erwidert werden kann, wie z.B. hilfreiche Informationen zu geben oder dich für etwas zu bedanken.
2. Knappheit/Mangel (scarcity)
Bei einer der teuersten Pokemonkarten der Welt - der 1st Edition Charizard Holo - handelt es sich um einen Fehldruck, der bei der zweiten Edition ausgemertzt wurde. Aus diesem Grund und weil die Karte aus dem Jahr 1999 stammt, gibt es entsprechend wenige davon. 2021 wurde eine dieser Karten für 369.000 US-Dollar erworben. Was macht diese Karte so wertvoll? Vermutlich nicht die Tatsache, dass es sich um einen Fehldruck handelt, sondern die, dass es nur sehr wenige davon gibt. Der Sammlerbereich ist einer, der das Prinzip der Knappheit fast schon karikaturhaft darstellt, da der Wert von Sammelgegenständen teilweise allein durch ihre Knappheit bestimmt zu sein scheint.
Aber die Wirksamkeit dieses Prinzips beschränkt sich keinesfalls auf den Sammlerbereich. Tatsächlich lässt es sich in allen Bereichen sozialer Interaktion und Transaktion wiederfinden. Ob es nun ein zeitlich begrentztes Angebot ist, oder die Mutter, die ihrem Kind nur begrentzt Aufmerksamkeit schenkt, oder der Schwarm, der sich rar macht - es ist häufig der Mangel, der den subjektiv wahrgenommen Wert einer Sache (oder Person) generiert.
Wenn deine Zielperson/Gruppe Exklusivität und seltene Dinge mag, solltest du die Seltenheit dessen, was du anbietest, hervorheben. Betone die einzigartigen Vorteile und Eigenschaften deines Angebots und wie es sich von allen anderen Angeboten unterscheidet, die man kennt. In der Führung anderer Mitarbeiter, kann man dieses Prinzip nutzen, indem man die eigene Zeit als knappes Gut darstellt. Das kann dabei helfen, dass Mitarbeiter von sich aus mehr Verantwortung übernehmen und Probleme versuchen autonom zu lösen.
3. Authorität
Authorität entsteht typischerweise im Zusammenhang mit Glaubwürdigkeit. Wenn mir mein Arzt ein Medikament empfielt, oder mein Steuerberater einen Finanzplan, dann messe ich diesen beiden Personen mehr Glaubwürdigkeit, in dem jeweiligen Belang, zu, als ich es bspw. bei meiner Oma täte. Warum das? Weil die Rolle des Arztes typischerweise mit einer gewissen Kompetenz assoziert ist, genauso wie die des Steuerberaters. Oft verlassen wir uns auf diese Authorität, selbst in Fällen, wo wir gar nicht wissen können, ob die entsprechende Person wirklich über das relevante Fachwissen verfügt. Diese Tatsache birgt ein gewisses Gefahrenpotential, wie vor allem durch die Milgram-Experimente in den 60er Jahren gezeigt wurde, wie vermutlich einige von euch wissen. In diesen Experimenten zeigte sich, dass die allermeisten Menschen bereit wären, anderen Menschen Schmerzen und Leid zuzufügen - sogar bishin zu einem lebensbedrohlichen Ausmaß - solange alles unter dem Schirm einer Authorität (in diesem Fall einer medizinischen) geschieht. Das zeigt die enorme Macht von Authorität wenn es um sozialen Einfluss geht. Aber auch hier gilt, dass dieses Prinzip im Großen wie im Kleinen wirksam ist, und nicht notwendigerweise zum Schlechten eingesetzt werden muss. So spielt Authorität in den meisten größeren Organisationsssturkturen eine essentielle bindende und koordinierende Rolle.
Wenn die relevante Person oder Gruppe Wert auf Fachwissen und Autorität legt, solltest du dein Wissen und deine Kompetenz in Bezug auf das betreffende Thema unter Beweis stellen, oder auf die Authorität/Kompetenz eines anderen verweisen um deine Position zu stärken. Verwende relevante Fakten, Daten und Statistiken, um deine Behauptungen und Argumente zu untermauern, und verweise auf gesicherte Quellen, um deine Glaubwürdigkeit zu erhöhen.
4. Konsistenz/Beständigkeit
Die allermeisten Menschen vermeiden es sich, auf der Straße von Fundraisern in ein Gespräch verwickeln zu lassen, weil sie ganz genau wissen, dass es mit jedem verstrichenen Moment schwerer wird, wegzukommen, ohne irgendwo einen Unterschrift gesetzt zu haben. Jeder der sich schon einmal in ein derartiges Gespräch hat verwickeln lassen, kennt den sozialen Druck der hier aufgebaut wird. Auch wenn man eigentlich überhaupt keinen Grund hat sich verpflichtet zu fühlen, hat man doch ein schlechtes Gewissen sich wieder loszureißen. Jetzt hat man schon die Zeit des Anderen beansprucht und schon einmal angefangen zuzuhören und schon Interesse gezeigt. Und all diese kleinen Zugeständnisse sind es, die in uns einen starken Impuls erzeugen, noch weiter in dieselbe Richtung zu gehen. Das Prinzip der Konsistenz hängt zusammen, mit einem anderen psychologischen Mechanismus, den man Verlustaversion nennt - das Phänomen wenn sich Menschen beim Glücksspiel um Kopf und Kragen wetten, weil sie den gegenwärtigen Verlust nicht akzeptieren können. Und so wird erhöht und verdoppelt und am Ende steht man mit leeren Taschen oder sogar Schulden da. Warum das Ganze? Weil man bereits investiert hat - und eine getätigte Invesitition zu aufzugeben und abzuhaken ist oft schwerer als noch mehr hineinzustecken, in der Hoffnung alles zurückzugewinnen. Aber auch Konsistenz kann genutzt werden, um Positives zu erzielen. Ein Unternehmen kann beispielsweise eine freiwillige Umfrage unter seinen Mitarbeitern durchführen, um herauszufinden, wie sie ihr Verhalten in Bezug auf die Einhaltung von Unternehmenswerten verbessern können. Wenn die Mitarbeiter ihre eigenen Vorschläge zur Verbesserung der Konsistenz beitragen, fühlen sie sich eher verpflichtet, diese Vorschläge umzusetzen und konsistente Verhaltensweisen zu zeigen.
Wenn deine Gesprächspartnerin oder dein Gesprächspartner Wert auf Beständigkeit und Stabilität legt, solltest du hervorheben, wie dein Angebot mit ihren/seinen Werten und bisherigen Handeln übereinstimmt. Zeige dich offen mit deinen eigenen Werten und Absichten und betone die Beständigkeit deiner Marke. Hier ist es von Vorteil, wenn man selbst eine Persönlichkeit/ein Unternehmen kulitiviert, die/das beständig und moralisch integer ist, denn ansonsten wird man in so einem Fall nicht erfolgreich sein. Auch im Unternehmenskontext gibt es natürlich soetwas wie einen Ethos - also ein Image, das im besten Fall Beständigkeit und Integrität transporitert. Hier ist auch ein Trend zu beobachten, in die Richtung, dass diese Eigenschaften höher geschätzt werden, als schnelle und billige Angebote, die unter dubiosen Bedingungen ihren Weg auf den Markt finden.
5. Sympathie
Sympathie mag für den Einen oder Anderen trivial erscheinen. Aber oft neigen wir auch dazu, Dinge aus den Augen zu verlieren, gerade weil sie so offensichtlich sind. Die Wahrheit ist, dass Menschen anderen Menschen eher glauben, wenn sie diese mögen. Und dasselbe gilt für jede andere Art von Investment. Wenn mich eine Person, die ich sympathisch finde, um Hilfe bittet, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ich einwillige. Einem netten Kellner gebe ich eher Trinkgelt als einem unfreundlichen. Und einem Unternehmen, dessen Image ich sympathisch finde und mit dessen Werten ich mich identifizieren kann, gebe ich lieber mein Geld.
Wenn soziale Kontakte und Beziehungen für deine Einflussgruppe/Person einen hohen Stellenwert haben, solltest du dich darauf konzentrieren, eine feste Beziehung zu ihnen aufzubauen und eine starke Verbindung zu ihnen herzustellen. Finde Gemeinsamkeiten, bringe echtes Interesse und Wertschätzung zum Ausdruck und stelle sicher, dass du deine Botschaft persönlich formulierst, um zu zeigen, dass du ihre Bedürfnisse verstehst und dich um sie kümmerst.
6. Sozialer Beweis (social proof)
Und schlussendlich kommen wir zum sozialen Beweis. Wie mit der kleinen Geschichte weiter oben bereits angedeutet, handelt es sich hierbei um das Schwarmphänomen, bei dem Menschen dazu neigen, sich in ihrem Verhalten der großen Masse anzupassen. Ob es nun Amazon-Rezensionen sind, oder eingefügte Lachspuren, in Sicoms - Menschen orientieren sich nach dem was die meisten anderen Menschen bereits tun. Stell dich einfach einmal in eine großen Menschenmenge und fang an, in den Himmel zu starren. Es wird nicht lange dauern, bis sich eine Traube von Menschen um dich gebildet hat, die es dir gleich tun. Warum? Weil wir davon ausgehen, dass es gute Gründe für dieses Verhalten gibt. Wenn jemand in den Himmel schaut, dann weil es dort etwas zu sehen gibt. Wenn eine lange Schlange von Leuten sich vor einer Eisdiele aufreiht und die andere Eisdiele in der selben Straße unbesucht scheint, dann gehen wir unmittelbar davon aus, dass es daran liegen muss, dass Nummer eins ein besseres Produkt anbietet, als Nummer zwei - auch wenn wir dafür gar keine unabhängigen Belege haben. Wir gehen dort hin wo die meisten hingehen. Das ist das Prinzip des sozialen Beweises und auch hier handelt es sich um einen Mechanismus, den man sich zu Nutze machen kann, wenn es darum geht andere Menschen in ihren Entscheidungen anzuleiten, oder zu überzeugen.
Wenn du davon ausgehen kannst, dass die andere Gruppe/Person ihre Entscheidungen aufgrund von sozialen Beweisen und Konsens trifft, solltest du die Beliebtheit oder die weit verbreitete Akzeptanz deines Angebots betonen. Nutze Zeugnisse, Empfehlungen und soziale Beweise, um zu zeigen, dass viele andere dieselbe Entscheidung getroffen und davon profitiert haben.
Fazit
Was diese sechs Prinzipien zu so wertvollen Werkzeugen macht, ist die Tatsache, dass sie von universeller Natur sind, d.h. für alle Menschen gelten. Aber es ist auch immer wichtig im Hinterkopf zu behalten, dass es "den Standardmenschen" nicht wirklich gibt, und Menschen trotzdem individuell und einzigartig auf die Anwendung der jeweiligen Prinzipien reagieren werden. Wie wirkungsvoll diese Prinzipien sind, hängt von der individuellen Persönlichkeit jedes Menschen ab. Wenn wir effektiv kommunizieren und gezielt Einfluss auf unser Umfeld nehmen wollen, müssen wir wissen, welche Prinzipien für welche Art von Person am besten geeignet sind. Dazu müssen wir eine Person lesen und ihren Charakter richtig einschätzen können.
Am wichtigsten ist dabei jedoch, nicht zu vergessen, dass die Kraft der Überzeugung nicht in der Manipulation liegt, sondern in Empathie, Respekt und gegenseitigem Nutzen.
Danke fürs Lesen. Ich hoffe ihr hattet Spaß und ich freue mich, euch beim nächsten Artikel wieder begrüßen zu dürfen.
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